Worms

»Heiliger Sand«: der älteste jüdische Friedhof Europas

Der alte jüdische Friedhof »Heiliger Sand« in Worms ist der älteste in situ erhaltene in Europa. Die sichtbaren Grabsteine stammen aus den Jahren ab 1058/59. Gräber bedeutender Gelehrter sind ebenso zu finden wie von Märtyrern und einfachen Gemeindemitgliedern - rund die Hälfte der Steine wurde zudem für Frauen aufgestellt. Die Tradition der Reisen an die Gräber der Gelehrten ist seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen.
Begraben wurden in Worms neben vielen anderen:

  • Malka bat Chalafta, Kantorin (verstorben 1228),

  • Jochewed bat Jechiel ben Ephraim (verstorben 1287),

  • Rabbi Meir von Rothenburg, genannt MaHaRAM (verstorben 1293),

  • Alexander ben Salomon Wimpfen (verstorben 1307),
  • Rabbi Nathan ben Isaak (verstorben 1333),
  • Rabbi Jakob ben Moses haLevi, genannt MaHaRIL (verstorben 1427),
  • Rabbi Meir ben Isaak (verstorben 1511),
  • Elia Loanz, ein Baal-Schem (verstorben 1636).

Der Friedhof überstand mittelalterliche Vertreibungen und Pogrome ebenso wie die Shoah – nicht immer gänzlich unbeschadet, doch ohne umfassende Schäden und Räumungen, sodass rund 2.500 Steine von der Geschichte der Gemeinde zeugen.
Ein erstes Dokumentationsprojekt des Friedhofs im 19. Jh. blieb unvollendet. Anknüpfend daran wurde im Zuge der Bewerbung um den UNESCO- Welterbestatus die Verzeichnung der Grabsteine weiter betrieben, maßgeblich durch Prof. Michael Brocke und sein Team vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Das Projekt wird durch den Altertumsverein Worms finanziell unterstützt.

Brutal beendet wurde die knapp 1000-jährige Geschichte der Gemeinde Worms mit den letzten Deportationen im September 1942 – die Bedeutung von SchUM aber endete nicht mit der Shoah. Die Zuwanderung von Juden aus den Staaten der GUS belebt seit den 1990ern auch Worms wieder.

Bauliches Ensemble: Wormser jüdisches Leben

In Worms ist ein klarer Eindruck der städtebaulichen Situation und damit des Verlaufs des mittelalterlichen Judenviertels möglich: Stadtmauerreste, Eingangstore und die Wiederbebauung der Judengasse entlang des Originalstraßenverlaufs ab den 1960ern ermöglichen, die einstige Atmosphäre topografisch und atmosphärisch zu erfahren. Hinzuweisen ist auch auf historische Kellergewölbe unter einigen der neu errichteten Häuser, von denen viele bereits durch die Denkmalpflege untersucht worden sind. Die Häuser Judengasse 11/13 sind bis in das 13. Jahrhundert zurückzuverorten. Es sind bedeutende Zeugnisse - wenn auch nicht relevant für die UNESCO-Bewerbung.
Das in Worms in der Judengasse bzw. am Synagogenplatz befindliche Ensemble mit Synagoge, Frauenschul und Mikwe ist für das jüdische Erbe der SchUM-Stätten – als Monument und als Erinnerungsraum – ganz zentral. Die nach der Shoah wiedererrichtete bzw. wiedergewonnene Synagoge mit Frauenschul und Vorhalle sowie Judenratsstube und Raschi-Jeschiwa zeugt von verschiedenen Schichten jüdischer und nichtjüdischer Geschichte über verschiedene Epochen und Jahrhunderte. Dadurch ist in und um die Wormser Synagoge ein in Deutschland und Europa singulärer Raum entstanden, der jüdische Tradition und Narrative, aber auch Verhaltensmuster der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft in verschiedenen Zeiten spiegelt.

Synagoge und Frauenschul

Die 1034 geweihte Synagoge, während der Pogrome 1096 schwer beschädigt, wurde 1174/75 ein wenig versetzt, aber unmittelbar und nahe des ursprünglichen Baus, durch eine neue Synagoge ersetzt. Eine Frauenschul - die erste überhaupt überlieferte - erweiterte den Bau ab 1212/13. Nach Zerstörungen während der Pogrome ab 1349 und dem folgenden Wiederaufbau wurde der Innenraum verändert.
Nach antijüdischen Ausschreitungen 1615 musste der Bau erneut instand gesetzt werden; zeitgleich entschied sich die Gemeinde für Erweiterungen. Ein Kernstück hierbei war eine halbkreisförmige Nische (Apsis), die seit dem 18. Jahrhundert als Raschi-Lehrstube oder Raschi-Jeschiwa Berühmtheit und sogar Legendenstatus erlangte. Raschi lehrte dort nicht, aber es sind die Idee und das Ideal von Raschi, die dort ihren Platz innehaben. Die Frauenschul erhielt einen Vorbau - eine Judenratsstube und Vorhalle zur Frauenschul im ersten Stock. Diese Front ist das erste, was Besucher heute sehen, wenn sie den Synagogenplatz betreten.
Krieg und Wiederaufbau im 17. Jahrhundert führten zu der Anmutung des Gebäudes, wie es bis zu seiner mutwilligen Zerstörung im Novemberpogrom 1938 in aller Welt bekannt war. Die Brandruine von 1938 wurde 1939 gesprengt; die rund 1,80 m hohen Reste blieben im Krieg vom sie umgebenden Schutt geschützt.
Die Tageszeitung »taz« veröffentlichte zum 80. Gedenktag an die Novemberpogrome 1938 einen Beitrag, in dem die Rolle des Stadtarchivars Illert und seine Selbststilisierung als Retter des jüdischen Erbes kritisch beleuchtet wird. Der Betrag steht weiter unten als Download zur Verfügung (mit freundlicher Genehmigung - die tageszeitung)
Nach dem Ende der Shoah war der Ruf von SchUM noch immer ungebrochen. Überlebende Juden, die in Camps für Displaced Persons auf die Emigration aus Europa warteten, besuchten Worms, um diese Stätte des historischen Judentums zu würdigen. SchUM war aber auch Selbstvergewisserung, dass jüdische Erinnerung an Gelehrsamkeit, Traditionen und Geschichte alle physischen Zerstörungen überdauert.
Genau gegenüber der wiederrichteten Synagoge steht ein Wohngebäude am Ort der 1875 eingeweihten Levyschen Synagoge. Diese wurde 1938 geschändet und verwüstet, aber wegen der dichten Bebauung nicht in Brand gesteckt. Im Januar 1945 während eines Bombenangriffs weiter zerstört, trug die Stadt die Ruine 1947 ab. Eine kleine Tafel erinnert an das einstige jüdische Gotteshaus.

© Stadtarchiv Worms
© Stadtarchiv Worms
© Stadtarchiv Worms

Stadt, Land und Bund entschieden sich in den 1950ern für einen Wiederaufbau der Synagoge. Baupläne, Fotos und Berichte dienten dabei der höchstmöglichen historischen Genauigkeit. Gerettete originale Bauteile und die Stifterinschrift für die erste Synagoge aus dem 11. Jh. konnten ebenso wie der als Raschi-Stuhl bekannte steinerne Sitz aus der Raschi-Jeschiwa wieder verwendet werden. Die heute sichtbaren Grundmauern der Synagoge stammen aus den Jahren 1175/76. Am Vorabend von Chanukka, am 3. Dezember 1961, erfolgte eine feierliche Eröffnung des wieder errichteten Gebäudes.
Dass der Aufbau nach der Shoah von jüdischen Emigranten und Überlebenden unterschiedlich bewertet wurde, ist verständlich. Einige befürworteten den Wiederaufbau als sichtbares Zeichen der jüdischen Tradition in Worms, andere lehnten dies mit Blick auf eine Musealisierung als Synagoge ohne Gemeinde entschieden ab.
Seit den 1990ern und der Zuwanderung aus Osteuropa hat die Jüdische Gemeinde Mainz als Inhaberin die Synagoge zunehmend wiederbelebt - als jüdischen Ort.
Der Wiederaufbau konnte und kann nichts wieder gut machen, was der Gemeinde nach 1933 angetan wurde. Die Synagoge in Worms ist wie die Mikwe Eigentum der Jüdischen Gemeinde Mainz-Worms. Gottesdienste finden dort ebenso statt wie kulturelle Veranstaltungen. Die Wormser Synagoge vermittelt einen nachhaltigen Eindruck von der ungebrochenen Relevanz der Anziehungskraft und Bedeutung der SchUM-Stadt Worms. Sie verdichtet Geschichte und Gegenwart.
Anna Kischner, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, begrüßte im April 2018 Teilnehmer einer Konferenz in der Synagoge Worms: »Die altehrwürdige Synagoge in Worms, wenngleich nach der Shoah wiederaufgebaut, ist nicht nur für uns Juden in Mainz und Worms, sondern weltweit ein zentraler Erinnerungsort. Die Synagoge, so bescheiden in ihren Ausmaßen und ihrer Ausstattung sie auch ist, spiegelt für uns Juden die hellen und dunklen Epochen der Geschichte der Juden in Deutschland. Wir sind die Eigentümer und sehen in dem Haus weit mehr als ein historisch bedeutsames Monument. Wir empfinden es als lebendiges Denkmal der wechselhaften Geschichte von Juden auf deutschem Boden. Und zugleich ist es für uns eben unsere Synagoge, die endlich wieder von jüdischem Leben erfüllt ist.«

Ein Turm in der Erde - die Mikwe

Erhalten blieb, über die Zerstörungen der Kreuzzüge, Pogrome und der Shoah hinweg, die 1185/86 gestiftete Mikwe. Das Ritualbad ist baulich dem in Speyer nachempfunden, wenn auch etwas kleiner, und als Monumentalmikwe angelegt.
Sie wird seit Jahren bauhistorisch untersucht, und Methoden zur Sanierung und behutsamen Restaurierung erforscht. Auf der Basis dieser Forschungen wird die Mikwe gesichert und behutsam saniert werden. Die Mikwe ist für Besucher und Gruppen seit November 2016 gesperrt. Eine Website gibt über die Mikwe Auskunft: www.schumstaedte.de/mikwe-worms

Das Raschi-Haus

Nahe der Synagoge befindet sich heute ein als Raschi-Haus bezeichnetes Gebäude. An derselben Stelle stand bis 1971 das Lehr-, Tanz- und Hochzeitshaus, Spital und Altenheim der Jüdischen Gemeinde. Nach den letzten Deportationen aus Worms u.a. als Obdachlosenheim umgenutzt, verfiel es und wurde 1971 abgerissen. Über dem authentischen Gewölbekeller aus dem 12./13. Jahrhundert errichtete die Stadt 1980/82 das neue Raschi-Haus. Dort sind das Stadt- und das Fotoarchiv und ein seit 1982 existierendes Jüdisches Museum untergebracht. Die Kellergewölbe und eine Wand mit Ritzungen im Putz, vergleichbar mit Ritzputz der Mikwe in Worms, sind spektakulär. Sie sind in die neue Ausstellung des Jüdischen Museums Worms integriert.
Website zur Ausstellung