Mikwe in Worms / Mikwe Worms - SchUM-Städte Mikwe in Worms - Turm in der Erde

Mikwe in Worms Turm in der Erde

Etwa 60 Jahre nach dem auf die Zeit um 1120 da­tier­ten Bau der Mo­nu­men­tal­mik­we in Spey­er ent­stand, nach deren Vor­bild, das Ri­tu­al­bad in Worms. Die MikweWasseransammlung
מקוה
im Ju­den­hof in Spey­er ist die äl­tes­te be­kann­te und zu­gleich bau­lich vor­bild­ge­ben­de Mo­nu­men­tal­mik­we.
Die ver­hee­ren­den Kreuz­zugs­po­gro­me von 1096 zogen eine ge­stei­ger­te Sen­si­bi­li­tät für Fra­gen der ri­tu­el­len Rein­heitTahor
טהור
nach sich. Diese fan­den auch im Bau der mo­nu­men­ta­len Mik­waot in SchUM ihren Aus­druck. Der Bau in Worms aus den Jah­ren 1185/86 ist um etwa ein Drit­tel klei­ner als die Mikwe in Spey­er. Eine Stif­te­r­in­schrift nennt Josef ha-Levi als Mäzen. Auf hohem li­te­ra­ri­schem Ni­veau be­rich­tet sie in ge­reim­ten Zi­ta­ten vom Bau die­ser ri­tu­el­len Bad­an­lage. So heißt es in der an einer Mauer im Syn­ago­gen­hof ein­ge­las­se­nen Tafel:

Einen Brun­nen grub er, führ­te auf das Ge­wöl­be und bahn­te einen Weg, einen ge­ra­den Pfad, und die Mauer ruht an ihrer Bucht.

Ha-Levis Toch­ter Ju­dith stif­te­te eine Ge­ne­ra­ti­on spä­ter ge­mein­sam mit ihrem Mann die Frau­en­schul in Worms.
Fol­­gen Sie uns auf dem »ge­­bahn­ten Weg«, in die­ses ein­zig­ar­ti­ge Ge­wöl­be...

Der Weg hin­un­ter in die Mikwe führt zu­nächst über fast 20 Stu­fen auf eine Platt­form, einem über­wölb­ten Vor­raum. Links geht es in einen klei­­nen Ne­­ben­raum. War es eine Klei­der­kam­mer, ein Raum zum Um­zie­hen, ein Raum, in dem Stei­ne er­wärmt wur­den oder ein Raum, in dem ein Ofen stand? Es gibt ver­schie­de­ne Deu­tun­gen. Ge­gen­über der Trep­pe, bis auf den Boden rei­chend, bli­cken wir auf Zwil­lings­fens­ter aus Sand­stein, in deren Mitte sich ein Pfei­ler be­fin­det. Be­grenzt wer­den sie von Säu­len mit klei­nen Ka­pi­tel­len. Unser Blick geht nach oben, in den ge­mau­er­ten Schacht. Dann nach unten, wo, je nach Was­ser­stand, das mehr oder min­der ge­füll­te Was­ser­be­cken sicht­bar ist. Das Was­ser steht na­he­zu still in dem gro­ßen Be­cken, es ist kein Plät­schern zu hören. Viel­leicht mal ein Trop­fen. Und doch ist das Was­ser spür­bar, es son­dert Kühle und Feuch­tig­keit ab, unten schim­mert es. Um die Trep­pe hin­un­ter­zu­stei­gen, schrei­ten wir durch einen Bogen – und blei­ben ste­hen, ent­de­cken Rit­zun­gen im Putz. Diese Pi­e­tra-Rasa-Ver­zie­run­gen stam­men aus dem 12. Jahr­hun­dert. (Bei die­ser Tech­nik wurde der Mör­tel zwi­schen den ein­zel­nen Mau­er­stei­nen ver­stri­chen, bis die Mauer eine na­he­zu ebene Flä­che bil­de­te, die Stein­köp­fe je­doch un­be­deckt blie­ben. Hier wur­den zu­sätz­lich Fugen in den feuch­ten Mör­tel ge­zo­gen, um ein Fu­gen­bild zu er­hal­ten.) Die­ser Putz stammt aus dem 12./13. Jahr­hun­dert. Der Putz wurde in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten ge­si­chert. Er ist Zeug­nis der hohen Bau­zier und der Wer­tig­keit die­ses ein­zig­ar­ti­gen Baus. Wir gehen wei­ter... 
Über die Wen­del­trep­pe ge­lan­gen wir an das Was­ser­be­cken. Das Mau­e­r­werk rechts und links der Trep­pe ist alt, nach­ge­dun­kelt, und hier und im gan­zen Schacht: Mör­tel­res­te, eben­falls aus dem 12. Jahr­hun­dert.
Qua­dra­ti­sche Lü­cken im Mau­e­r­werk des Ba­de­schachts zei­gen die Lage ehe­ma­li­ger Ge­rüst­höl­zer an. Der Ba­de­schacht wurde also, wie in Spey­er, als Hoch­bau in einer gro­ßen Bau­gru­be er­rich­tet.
Am Was­ser ste­hend gibt es noch­mals Stu­fen, hinab in das Be­cken. Wir blei­ben ste­hen, er­ah­nen das Wei­te­re. Das Was­ser hat etwa eine Tem­pe­ra­tur von acht bis zehn Grad. Die Vor­stel­lung, hier un­ter­zu­t­au­chen, drei Mal, lässt uns ahnen, dass genau hier ri­tu­el­le Rein­heit er­langt wer­den kann. Der Raum ist alt, ehr­wür­dig, strahlt Jahr­hun­der­te Ge­schich­te ab, lässt uns mit einem Ge­fühl für Spi­ri­tu­a­li­tät und Rein­heit zu­rück.

Wir bli­cken uns um: Ist diese Mikwe aus dem 12. Jahr­hun­dert un­be­schä­digt ge­blie­ben? Gab es Um­bau­ten? Im Laufe der Jahr­hun­der­te sah sich die Mikwe einer wech­sel­haf­ten Ge­schich­te aus­ge­setzt. Im ers­ten Drit­tel des 19. Jahr­hun­derts wurde das Ri­tu­al­bad zur Senk­gru­be für Ab­wäs­ser und Ab­fäl­le. Die jü­di­sche Ge­mein­de woll­te sich mo­der­ni­sie­ren, alten Riten ent­sa­gen. Das wach­sen­de Be­wusst­sein für Ge­schich­te und Mo­nu­men­te aber führ­te dazu, dass die Kul­tus­ge­mein­de Ende des 19. Jahr­hun­derts die Mikwe re­stau­rie­ren ließ. Das ro­ma­ni­sche Bau­werk er­hielt sei­nen Sta­tus als mit­tel­al­ter­li­ches Zeug­nis der SchUM-Ge­mein­de Worms zu­rück. 1938, wäh­rend des No­vem­ber­po­groms, kam es auch an der Mikwe zu Zer­stö­run­gen. In­fol­ge des Wie­der­auf­baus der Syn­ago­ge ab 1957 wurde das Ri­tu­al­bad ge­si­chert, sa­niert, Säu­len und Fens­ter­fas­sun­gen er­neu­ert und das Ge­wöl­be des Vor­baus aus­ge­bes­sert. Der Ab­gang und der Trep­pen­ver­lauf vom ober­ir­di­schen Ein­gang hin­un­ter zum Vor­platz wur­den ein wenig ver­än­dert. Diese Ein­grif­fe haben je­doch die ei­gent­li­che Mikwe, den Turm in der Erde, nicht in ihrer Au­then­ti­zi­tät ver­än­dert. Wir stau­nen und ver­ste­hen: Die Mikwe in Worms ist ein be­son­de­rer Raum, er um­fasst wort­wört­lich Jahr­hun­der­te. Der Turm in der Erde hat sich ein­ge­gra­ben in die jü­di­sche Ge­schich­te, ist ver­wach­sen mit der Erde von SchUM und damit Be­stand­teil des­sen, was das jü­di­sche Erbe zu etwas Be­son­de­rem macht.